Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung beschreit den "Unsinn des Home Office", da verschiedene wissenschaftliche Studien den Eindruck erhärten, dass Mitarbeiter in Teams produktiver sind. Der Beitrag führt zwei Studien an, in denen sich zeigte, dass in Gruppen mit Mitarbeitern unterschiedlicher Leistungsfähigkeit der Kontrolldruck der Gruppe dazu führt, dass die schlechter performenden Mitarbeiter ihre Arbeitsleistung steigern, um zumindest ansatzweise mit den Hochperformern mitzuhalten. Alleine die Settings der Studien zeigen jedoch bereits, dass dieser Zusammenhang längst nicht für alle Kontexte gelten muss. Einmal wurden Studenten untersucht, die Briefe kuvertieren, ein anderes Mal wurde die Effizienz von Kassiererinnen betrachtet. In beiden Studien zeigte sich, dass langsamere Mitarbeiter dann schneller arbeiteten, wenn sie in einer Gruppe mit besseren Mitarbeitern arbeiten mussten, während sie alleine und unbeaufsichtigt ihrer Arbeit weniger schnell nachgingen. Die Forscher führen die Leistungssteigerung auf den Druck innerhalb der Gruppe zurück - die Langsameren bemühen sich gewissermaßen mehr, weil sie unter direkter Aufsicht und Kontrolle stehen. Daraus zu schließen, dass das Home Office der Produktivität schadet, ist meiner Meinung jedoch wenig gerechtfertigt. Ein wichtiger Punkt: Die in beiden Studien untersuchten konkreten Tätigkeiten waren manueller Natur. Durch positives Beispiel lassen sich manuelle Fähigkeiten recht schnell verbessern, wenngleich auch hier nur in einem bestimmten Maß, das der grundsätzlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen geschuldet ist. Überspitzt formuliert: Ein Hinkender kann noch so oft mit einem Marathonläufer trainieren, seine Möglichkeiten zur Leistungssteigerung sind dennoch begrenzt. Ein zweiter Punkt: Mitarbeiter, die im Home Office arbeiten, stehen ebenfalls unter hohem Druck, da sie ihrem Arbeitgeber gegenüber stets beweisen müssen, dass sie in der Zeit, in der sie nicht unter Aufsicht stehen, mindestens ebenso produktiv sind. Täten sie das nicht, wäre ihre Sonderposition schnell dahin. Hinzu kommt: Bei viel komplexeren Tätigkeiten spielen neben der äußeren Kontrolle viele weitere Faktoren eine Rolle. Die Abgeschiedenheit des Home Office kann äußere Störungen reduzieren und damit die Konzentration und in Folge die Effizienz verbessern. Die Vorbildfunktion von Hochperformern ist in diesem Feld als eher eingeschränkt zu beurteilen, denn hohe Leistungsimpulse von außen können allenfalls einen geringen Beitrag leisten zur Verbesserung komplexer Fähigkeiten bei Leistungsschwächeren. Last but not least: Unternehmen, die sich allein auf die extrinsische Motivation, in diesem Fall Druck von außen, verlassen, haben immer ein Problem: Sie brauchen permanente Kontrolle. Und die ist alles andere als dazu geneigt, kreative Potenziale freizusetzen. Weiter gedacht: Wer unter steter Kontrolle im Akkord Briefe kuvertiert, wird niemals auf die Idee kommen, eine Kuvertiermaschine zu erfinden, die den Job noch viel schneller bewältigen kann.
Der Unsinn des Home Office, FAs 27.9.2009
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