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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Wie ticken wir Menschen wirklich?

Die Neurowissenschaften haben in den vergangenen Jahren Details über unser menschliches Dasein zutage gebracht, die unser Selbstverständnis grundlegend verändern können. Der Hirnforscher Wolf Singer beispielsweise ergründete immer wieder in Dialogen mit dem Mönch Mathieu Ricard, wie unsere Selbstwahrnehmung unser Dasein prägt. Gerade haben beide einen neuen Dialogband veröffentlicht, Jenseits des Selbst. "Sowohl der Buddhismus als auch die Neurobiologie gehen davon aus, dass Wahrnehmungen konstruiert sind und die Wirklichkeit anders sein kann, als wir sie wahrnehmen. Die Buddhisten berufen sich dabei auf die nach innen gewandte Erforschung ihrer Wahrnehmungsprozesse. Ricard geht davon aus, dass die Kultivierung inhaltsloser Bewusstseinszustände zu einer objektiveren Wahrnehmung der Realität verhilft. Hier sind wir jedoch unterschiedlicher Ansicht. Für uns ist Bewusstsein immer mit Inhalten verbunden", erzählt Singer in einem Gespräch mit der Frankfurter Neuen Presse. Der Unterschied, den er hier macht, ist spannend. Wer in der Meditation schon einmal Momente der völligen geistigen Leere erfahren hat, und seien sie noch so kurz, entwickelt eine Ahnung, wie es ist, auf die Welt und sich selbst zu blicken, ohne diese Wahrnehmung unmittelbar mit bereits Erlebtem und Gewusstem zu verbinden. Es fällt schwer, sich das vorzustellen, denn in diesen Minimalmomenten löst sich unser Selbst auf - und wir können dem Leben in einer ungeahnten Freiheit begegnen. Die klassische Hirnforschung scheint so weit noch nicht zu gehen. Auch im Hinblick auf Selbstkultivierung setzen Ricard und Singer unterschiedliche Akzente. "Als tibetanischer Buddhist vertritt Mathieu die Ansicht, dass sich bestimmte Verhaltensdispositionen durch Meditation trainieren lassen. Die Grundidee: Ich muss von den vielen emotionalen Reaktionsweisen, die mir zur Verfügung stehen, die negativen wie Neid, Missgunst oder Aggressionen abschwächen und positive Affekte wie Mitgefühl und Nächstenliebe kultivieren. Anders als Mathieu glaube ich aber, dass auch negative Affekte wichtig sind. Man muss manchmal jemanden nicht mögen dürfen!", so Singer. Es mutet fast an, als wolle Singer hier die Inhalte des Bewusstseins nicht ganz loslassen. Was verständlich ist, denn wer bin ich, wenn ich zunächst einmal auf meine Bewertungen verzichte? Ricards Perspektive hat nichts damit zu tun, die eigenen Befindlichkeiten zu verleugnen. Es geht wohl eher darum, sie immer wieder einmal für einen Moment zurückzustellen und wahrzunehmen, was diese Unvoreingenommenheit in einem selbst verändert. Treten Mitgefühl und Nächstenliebe beispielsweise durch Üben immer stärker hervor, verringert sich womöglich auch die innere Neigung, andere nicht mögen zu wollen. Diesen feinen Wendepunkt scheinen die Neurowissenschaften noch aus sicherer Distanz zu umkreisen. Aber vielleicht entwickelt sich die Wissenschaft ja in den nächsten Jahren auch dahin, diese Grenze der Annäherung stärker zu erforschen.
Interview mit Wolf Singer: "Erziehung ist das Wichtigste", FNP 19.4.17

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Meine beiden Bücher, die ich mit Paul J. Kohtes geschrieben habe.

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