Rückzug in die Komfortzone
In den vergangenen zwei Jahren sind mehrere gute Studien erschienen, die zeigen, dass Achtsamkeit kein Allheilmittel ist. Neben der bereits bekannten Erkenntnis, dass Meditation sich beispielsweise nicht für Menschen mit ernsthaften psychischen Problemen oder gar traumatischen Erfahrungen eignet, wenn sie nicht von kompetenten Therapeuten in ihren Übungen begleitet werden, zeigen diese Untersuchungen, dass es immer wieder auch Menschen gibt, bei denen Stille, Reizreduktion oder schlicht das tiefere In-sich-Hineinhorchen Unwohlsein auslösen. Das Online-Portal der Frauenzeitschrift Brigitte titelte etwa kürzlich über die "Gefahren des Achtsamkeits-Hypes" und sprach sogar von einer "Toxic Mindfulness". Nach der Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen geht der Artikel dazu über, den Lesenden lieber einige Wohlfühlübungen zu empfehlen, die ihnen im Hinblick auf eine Verbesserung ihres Alltags mehr bringen könnten als Achtsamkeit. Ich finde es interessant, welche unausgesprochenen Erwartungen in solchen Beiträgen mitschwingen. Seit Achtsamkeit in aller Munde ist, scheint sie immer mehr zu einem Weichspüler zu werden. Die Erfahrungen, die Übende machen, sollen möglichst kuschelig sein. Diese Erwartung verkennt allerdings, was Achtsamkeit und Meditation eigentlich bedeuten und wie sie wirken. Denn wer durch regelmäßiges Meditieren oder das Schulen der Aufmerksamkeit wacher wird für das, was ist, bekommt natürlich auf einmal auch vieles mit von dem, was bisher vielleicht lieber ausgeblendet wurde. Das können beunruhigende Dinge in der Außenwelt sein, aber auch Erkenntnisse über sich selbst, die einem vielleicht erst einmal weniger behagen. Gerade in diesen tieferen Einsichten liegt jedoch das wirkliche und wirksame Potential von Achtsamkeit, denn nur das, was man als nicht dienlich erkennt, kann man auch verändern. Und das sind oft nicht die naheliegenden Dinge, die wir ohnehin schon im Blick haben. Ich würde mir mehr Mut wünschen, dazu einzuladen, hier tiefer zu gehen.
Die Gefahren des Achtsamkeitshypes, über die niemand spricht, brigitte.de 20.8.21