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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Muse kann man nicht erzwingen

In der vorherrschenden Selbstoptimierungskultur scheint jeder Kniff recht, um das eigene Potential weiter zu pushen. So erfreut sich die Zusammenstellung "Daily Rituals" des Schriftstellers Mason Currey, die in Deutschland unter dem Titel "Musenküsse" veröffentlicht wurde, gegenwärtig großer Beliebtheit. Currey hat zusammengestellt, wie die Größen aus Wissenschaft, Kunst und Politik über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart ihre Tage gestalteten und mit welchen Mitteln sie ihre Kreativität förderten. Das Software-Unternehmen Citrix hat die im Buch dargestellten Lebensläufe und Tricks sogar grafisch aufbereitet, so dass sich wunderbar sehen lässt, wie lange ein Franz Kafka oder ein Picasso schlief, wie viel Zeit sie der Kreativität widmeten und wie viel dem schnöden Broterwerb. Doch wie hilfreich ist es, sich daran zu orientieren, dass Freud kokste und bis zu 20 Zigarren am Tag rauchte? Oder an Marcel Proust, der sein Werk in den Mittelpunkt seines Lebens stellte und darüber depressiv wurde? Wesentlich spannender als in all diesen Lebensdetails nach konkreten Anleitungen zu suchen, ist wahrscheinlich der Blick aufs Ganze. Zwar gab es unter den Größen der Zeitgeschichte sehr disziplinierte Geister, die wie Balzac oder Voltaire nur ein Minimum ihrer Zeit auf das Schlafen, Freizeit oder Musestunden aufwendeten und voll in ihrer produktiven Tätigkeit aufgingen, aber betrachtet man die von Citrix erstellte Statistik zur Zeitverteilung genauer, fällt eines auf: Die meisten der im Buch beschriebenen Persönlichkeiten leisteten sich den Luxus, jede Nacht sieben bis neun Stunden zu schlafen und widmeten nur ausgewählte Teile des Tages dem fokussierten kreativen Schaffen. Mindestens genau so viel Zeit reservierten sie indes auch fürs Nichtstun, fürs Schweifenlassen der Gedanken, das Träumen und Nachdenken. Vielleicht ist es ja gar nicht unbedingt das, was wir tun, was uns so kreativ macht, sondern bisweilen einfach die Freiheit, auch auf angemessene Weise nichts zu tun.
Selbstoptimierer küsst die Muse selten, SZ 26.8.14

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Meine beiden Bücher, die ich mit Paul J. Kohtes geschrieben habe.

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