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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Haben wir uns der Arbeit ausgeliefert?

Ein Beitrag meines Lieblingssoziologen Hartmut Rosa in der NZZ hat mich schwer zum Nachdenken gebracht. Rosa beschreibt darin ausführlich, warum die Arbeitswelt heute für die meisten Menschen einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Resonanzraum ist. "Tatsächlich bildet insbesondere in der modernen Gesellschaft Arbeit nicht nur eine Resonanzachse, sondern sie stellt eine zentrale Resonanzquelle dar, in der sich eine Vielzahl von Resonanzachsen wie in einem Brennglas bündeln. Wir begegnen nämlich nicht nur der stofflich-materiellen, widerständigen Welt, an der wir unsere Selbstwirksamkeit entfalten, sondern immer auch anderen Menschen als Kollegen und/oder als Kunden beziehungsweise Klienten, und die überwältigende Mehrzahl von Arbeitenden entwickelt über die Zeit hinweg deshalb intensive soziale Resonanzbeziehungen am Arbeitsplatz: Die Kollegen sind uns nicht gleichgültig, sie berühren uns in ihrem Handeln und Leiden, und wir erfahren uns als selbstwirksam verbunden, wenn wir feststellen, dass wir auch ihnen etwas bedeuten", so Rosa. Die Bedeutsamkeiten und Beziehungen, die uns hier entgegenkommen, mögen uns im Leben tragen. Aber sie verbinden uns auch mit Systemen, die uns oft alles andere als gut tun. Noch kritischer finde ich aber, dass Arbeit heute auch die Sinndimension immer mehr einzunehmen scheint. "Über ihre Arbeit fühlen sich Menschen auch existenziell oder vertikal mit dem Ganzen der Gesellschaft, der Welt oder des Lebens verbunden. Ich nenne das die vertikale oder existenzielle Resonanzachse: Menschen brauchen und suchen nach einer Bestätigung oder einem Sinn dafür, dass sie mit dem Urgrund der Existenz und zugleich mit der Totalität des Daseins verbunden sind, und zwar so verbunden, dass ihr Dasein und ihr Handeln, ihre Existenz nicht spurlos vorübergeht, nicht wirkungslos und bedeutungslos bleibt. Menschen müssen sich einerseits als wirksam und andererseits als «gemeint», als «adressiert» erfahren können. In der Berufsarbeit können sich Menschen ihres resonanten In-der-Welt-Seins auf unmittelbar leiblich-materielle, auf sinnlich erfahrbare Weise vergewissern: In ihrem Arbeiten wirken sie auf die Welt ein und transformieren sie – und sei es «nur» das Regal im Supermarktlager –, und im Lohn- oder Gehaltszettel erfahren sie die nährende Antwort", so Rosa. Das finde ich eine bedenkliche, ja schmerzhafte Entwicklung. Ich glaube, leider, dass Hartmut Rosa hier ein sehr guter Beobachter der Verhältnisse unserer Zeit ist. Aber ich würde mir wünschen, dass wir wieder andere existenzielle Resonanzräume für uns entdecken und beleben, die nicht schon per se in die Funktionalismen des Leistens eingebunden sind.
In der Arbeit finden wir die Welt, NZZ 16.9.19

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