Geld - nur eine Selbsttäuschung?
In einem Interview mit der taz spricht der Soziologe Christoph Deutschmann über den Tunnelblick, der oftmals unser Umgehen mit Geld bestimmt: "Bei vielen mittelständischen Aktionären und Spekulanten kann man beobachten, dass der finanzielle Reichtum eine Art Tunnelblick zur Folge hat: Sie sehen nur noch das Geld und die finanziellen Gewinnchancen, alle anderen sozialen Rücksichten geraten aus dem Blick. Es wird zum Beispiel vergessen, dass Weizen und Reis nicht nur Spekulationsobjekte, sondern auch Lebensmittel sind. Die Leute geben sich großen Selbsttäuschungen hin und erhalten jetzt die Quittung dafür." Einerseits konstatiert Deutschmann, dass Geld mittlerweile in der Gesellschaft eine quasi-religiöse Funktion erfüllt, weist jedoch zugleich darauf, dass diese Konstruktion auf Dauer nicht tragfähig sein könne: "Eine Gesellschaft, die durch nichts anderes mehr zusammengehalten wird als durch den Markt, und die den finanziellen Erfolg zum obersten Lebensziel erhebt, wird Probleme bekommen. Geld ist ja nicht nur ein Tauschmittel, sondern ein Medium, das Individualisierung und persönliche Unabhängigkeit mitten in der Gesellschaft ermöglicht, aber in einer Gesellschaft, die uns alle in einer unvorstellbaren Weise voneinander abhängig gemacht hat. Diese Abhängigkeit vergessen wir gern und werden erst zwangsweise mit ihr konfrontiert, wenn das Finanzsystem nicht mehr funktioniert, wie in der gegenwärtigen Krise."
"Geld erfüllt religiöse Funktionen", taz 13.10.2008