Die Sehnsucht nach der Natur flammt wieder auf
In gewisser Weise ist es bizarr, wie sich die menschliche Sehnsucht nach Natur in Zeiten der immer weiter um sich greifenden Urbanisierung aufbäumt. In einem Artikel greift die Zeit das Thema "Waldbaden" auf. Ja, richtig gelesen. Der "Trend" kommt aus Japan, wo die wissenschaftliche Erforschung der Wirkung des Waldes auf den Menschen bereits eine längere Tradition hat. Viele medizinische Untersuchungen erklären uns heute sehr detailliert, welche Bestandteile der gesunden Waldluft dem Körper gut tun und auch eine wohltuende Wirkung auf Geist und Seele zu haben scheinen. Heute geht man deshalb nicht mehr einfach spazieren, man badet im Wald. Wo unsere Ahnen noch versuchten, der sie beherrschenden Natur zu entrinnen, Städte bauten und, zumindest zwischenzeitlich, diese Durchbrüche menschlicher Schaffenskraft als positive Entwicklung des Menschseins genossen, scheinen wir heute an einer Schwelle zu stehen. Je mehr sich unsere Städte ausweiten, umso mehr geht uns der unmittelbare Kontakt mit dem Natürlichen verloren. Der heute vielfach empfundene Zivilisationsstress liegt vielleicht nicht nur an zu viel Arbeit und den Lasten der Digitalisierung. Womöglich wird uns langsam bewusst, dass Natur für unser Menschsein ebenso essenziell ist wie die kulturelle Pflege des Menschseins. Ich finde den Zeit-Artikel anregend, weil er diese Dimension wieder ins Bewusstsein bringt. Die wissenschaftlichen Erklärungen sind erhellend, doch sollte man nicht den Fehler machen, nun zu versuchen, die Natur zu funktionalisieren. Waldbaden funktioniert vielleicht gerade deshalb, weil es uns wieder mit der Absichtslosigkeit, mit dem schlichten Dasein in Kontakt bringt.
Spring! Zeit Online 8.5.18