Bescheidenheit in einer Zeit der Selbstdarstellung
Maßhalten und sich nicht den eigenen Bedürfnissen zu sehr ausliefern ist seit Jahrhunderten ein kulturelles Thema. Im Mittelalter eine Kardinaltugend, später vom Bürgertum als Abgrenzung gegenüber dem Adel genutzt, führt Mäßigung zu einer Freiheit gegenüber dem eigenen Verlangen. Eine Perspektive, die in der Pandemie stark an Bedeutung gewonnen hat. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur spricht die Philosophieredakteurin Catherine Newmark darüber, wie das selbstauferlegte Maßhalten Kontrolle über das eigene Leben ermöglicht. Diese Emanzipation von eigenen oder auch gesellschaftlich vermittelten Bedürfnissen ist jedoch in der heutigen Zeit, in der oft Selbstoptimierung und Selbstvermarktung gefragt sind, schwer durchzuhalten. Gemessen an diesen Erwartungshaltungen bringe Bescheidenheit einen nicht weiter, so Newmark. Gleichzeitig rufen die äußeren Lebensbedingungen, allen voran die Klimakrise, geradezu danach, dem Weniger höhere Priorität einzuräumen. "Es ist tatsächlich eine Tendenz da, dass wir diese Schubumkehr zu leisten haben", so Newmark. In den Augen der Philosophieexpertin zeichnet sich hier ein "fundamentaler mentaler Wandel" ab, der noch lange nicht abgeschlossen ist.
Die Wiederentdeckung der Mäßigung, Deutschlandfunk Kultur 12.6.21