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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Wenn Erholung zur Arbeit wird

Mit Achtsamkeitsprogrammen den Mitarbeitern beim Regenerieren helfen, das wird in immer mehr Unternehmen zur Strategie, zumal sich seit Jahren statistisch betrachtet die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen erhöhen. Die Soziologin Greta Wagner betrachtet solche Ansätze eher kritisch. In einem Interview mit der Zeit etwa sagt sie: "Diese Strategien sind ambivalent, weil sie den Angestellten sehr viel Eigenverantwortung dafür übertragen, einen individuellen Umgang mit organisational verursachten Problemen zu finden. Oftmals würde die Einstellung von mehr Personal den Stress effektiver mindern, aber zu höheren Kosten. Mit mindfulness trainings lernen die Arbeitenden, Stress durch Termindruck und internationale Konkurrenz selbst auszugleichen, indem sie an ihrer eigenen psychischen Belastbarkeit arbeiten. Dieses kulturelle Muster findet sich eben in vielen Bereichen der Gegenwartsgesellschaft: Wer trotz Achtsamkeitstraining noch gestresst ist, ist selbst schuld." Sie beschreibt die Komplexität kulturellen Wandels, der immer mehr Menschen zusetzt: "Die Ansprüche an die Flexibilität der Menschen haben sich gewandelt, das zeigt sich zum Beispiel in viel brüchigeren Berufsbiographien. Auch die Digitalisierung verursacht neue Anpassungsprobleme. Insbesondere mehrere Arbeiten gleichzeitig erledigen zu müssen und die Verdichtung der Arbeitszeit werden als Stressoren erlebt. In den Unternehmen haben sich Organisationsformen entwickelt, die sich durch flachere Hierarchien, flexiblere Arbeitszeiten und mehr Eigenverantwortung auszeichnen und in der das kreative Potential der Beschäftigten viel stärker gefragt ist." Wo alles sich ständig ändere, seien persönliche Resilienzbemühungen natürlich insbesondere seitens der Unternehmen sehr gefragt. "Vor diesem Hintergrund erscheint die innere Einstellung, die alles mit Gelassenheit annimmt, für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer attraktiv. Die Frage, wie man Arbeit so gestalten kann, dass sie Gefühle von Überforderung erst gar nicht kreiert, gerät dabei aus dem Fokus. Die Verantwortung liegt also wieder im individuellen Handeln und nicht in der Organisationsstruktur. Dieses kulturelle Muster findet sich in allen Lebensbereichen wieder", so Wagner. Ich würde mir wünschen, in den Medien häufiger solche Metabetrachtungen zu finden, die die größeren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in den Blick nehmen. Achtsamkeit ist gut und wichtig, aber als dauerhafter Kompensationsmechanismus für die Schieflagen größerer gesellschaftlicher Zusammenhänge ist sie schlicht nicht hinreichend.
Wann ist Erholung eigentlich Arbeit geworden?, Zeit.de 4.9.19

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Buch-Tipps
Meine beiden Bücher, die ich mit Paul J. Kohtes geschrieben habe.

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