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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Kann Warten kulturelle Kraft entfalten?

Der Zug hat Verspätung, an der Supermarktkasse ist eine lange Schlange, im Feierabendverkehr steht man im Stau - wohl jede.r kennt diese erzwungenen Wartesituationen, in denen man sich meist über den damit verbundenen Zeitverlust ärgert. Unser Alltag ist so durchfunktionalisiert, dass wir diesen Phasen des Dazwischens oft wenig Aufmerksamkeit schenken und sie vor allem als Störung unserer eigentlichen Pläne erfahren. Oder wir versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen, und füllen das uns aufgezwungene Warten mit anderen Tätigkeiten, lesen auf dem Smartphone vielleicht ein paar Nachrichten oder schauen, was auf Facebook gerade los ist. Es gibt jedoch auch andere Perspektiven. "Vom philosophischen Standpunkt aus lässt sich indes ­fragen, ob es immer richtig ist, das Warten angenehm zu gestalten. Martin Heidegger etwa war der Ansicht, dass die aus dem Warten resultierende Langeweile eine Grundstimmung zu wecken vermag, die dem Menschen sein Menschsein näherbringt, da sie zur Reflexion über das Dasein anregt. Das mag im Hinblick auf die meisten Alltagssituationen unrealistisch klingen, vielleicht lohnt es sich aber, Wartezeit probeweise einfach mal in ihrer vermeintlichen Leere zu belassen", sagt etwa der Soziologe Andreas Göttlich in einem Interview mit Psychologie heute. Mit etwas Neugier kann Warten sogar unser Denken in neue Richtungen lenken und unseren Blick auf das Leben konstruktiv verändern. Göttlich etwa meint: "Wartezeit als „leere Zeit“ zu akzeptieren bedeutet, sich aus dem pragmatischen Kontext, also dem erforderlichen praktischen, nützlichen Handeln unserer Alltagspläne auszuklinken, die uns ja von einem Termin zum anderen treiben. Das kann zu dem führen, was Adorno den sabbatischen Blick nannte: Die Dinge der Umgebung werden nicht mehr im Hinblick auf ihren praktischen Verwendungszweck, sondern auf ihren ästhetischen Wert hin betrachtet. Man entdeckt Schönes, wo man bislang nur Zweckhaftes sah. So kann Warten zum Zeitfenster für eine veränderte Wirklichkeitswahrnehmung werden. Das Zurückstellen pragmatischer Alltagsmotive eröffnet auch die Möglichkeit, diese zu hinterfragen: Weshalb nehme ich dieses Warten gerade überhaupt auf mich? Ist es das wert? Unreflektierte Wertsetzungen können so unter Umständen zurechtgerückt werden." Wie warten Sie das nächste Mal?
Gleich passiert’s!, Psychologie heute 2.9.21

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Meine beiden Bücher, die ich mit Paul J. Kohtes geschrieben habe.

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