Die reinigende Kraft des Schweigens
Eine Auszeit im Kloster, über mehrere Tage einfach nur schweigen - für viele Menschen mag das ein Alptraum sein. Für den Philosophen Jürgen Werner sind seine regelmäßigen Auszeiten im Kloster das Gegenteil - ein Weg zur inneren Erneuerung. "Das Ziel ist die Wiederentdeckung, die Freilegung des von Verformungen unterschiedlichster Art korrumpierten Lebens", beschreibt er, was eine Zeit in Stille bewirken kann. In dem Interview mit der Wirtschaftswoche lässt er die Leser daran teilhaben, wie das Ich in den ersten Tagen der Klausur auf den Reizentzug mit Abwehr reagiert - und erholend und regenerierend das Schweigen nach einer Weile auf Körper, Geist und Seele wirkt. Für ihn führt die Erfahrung der Stille dazu, dem Reden neue Bedeutung zu geben. "Das allermeiste, was wir sagen, ist unwesentlich. Und diese Entwöhnung von den Worten, diese Neujustierung der eigenen Sprache hilft: schon weil man plötzlich sensibel wird für den Quatsch, der tagein, tagaus produziert wird", so Werner. Für ihn ist das Schweigen zudem ein guter Weg, die im eigenen Bewusstsein verschütteten Themen wieder in die Wahrnehmbarkeit zu bringen: "In der Regel tragen wir alle etwas mit uns herum, was uns latent beschäftigt, was in uns arbeitet. Aber bis wir da rankommen, kann es dauern, oft jahrelang. Schon weil unser Alltag dafür sorgt, dass das alles verschüttet bleibt. Unter Schweigebedingungen drängt es ins Bewusstsein."
"Wer bin ich? Wie will ich leben?" WiWo 13.8.17